Falco lebt. 30 Jahre nach seinem dritten Album (das rote mit dem Welthit „Rock me Amadeus“) inspiriert er österreichische Musiker wie Bilderbuch, Wanda, Ernst Molden und den Nino aus Wien zu beeindruckenden Höhenflügen
Gut möglich, dass uns eine lange Nacht sprachlos gemacht hat. Paul und ich sitzen an einem wackeligen weißen Tisch in der Küche seiner Altbauwohnung und schweigen.
„Falco“, sage ich in die Stille. Paul nickt.
Mehr gibt es in diesem Augenblick nicht zu sagen. Warum auch, bei hundertprozentiger Übereinstimmung. Falco ist unser Gott. Und er lässt uns tanzen. Dieser neue Gott predigt nicht, er singt „Ganz Wien“, rappt den „Kommissar“ und „Maschine brennt“. Er verarscht sich, uns, alle in den „Helden von Heute“; und weil wir uns in den frühen 1980er-Jahren befinden, wird er dafür nicht geprügelt, sondern geliebt, von allen, von uns – und vermutlich auch von sich selbst, zumindest gibt er uns mit jedem seiner bewundernswerten Auftritte dieses Gefühl (und wir genießen es).
Als 1984 sein zweites Album „Junge Roemer“ erscheint, schreibt Michael Hopp im über Falco: „Du wirst ihm nie auf die Schulter klopfen können. Er wird dich keinen Augenblick in der blöden Illusion schwelgen lassen, dass das sogenannte Leben eine einzige Ungerechtigkeit aus Glück & Pech ist. Sondern er wird dich jeden Augenblick spüren lassen – und er wird dies arrogant tun –, dass er aus einem anderen Holz geschnitzt ist. Und wird damit bewirken, dass du ihn verehrst. Es ist ganz einfach, und es funktioniert überall dort, wo es Stars gibt. Aber in Österreich ist es das erste Mal, dass es einer beherrscht.“
Ein Jahr später wird Falcos drittes Album veröffentlicht. Der erste Track darauf ist „Rock Me Amadeus“ – ein veritabler Kracher, der im Frühjahr 1986 Platz 1 in den den US-Billboard-Charts erobert, „was zuvor noch keinem anderen deutschsprachigen Titel gelungen war“ (Wikipedia). Für Falco, längst nicht mehr nur „weltberühmt in Österreich“, wie die Austropop-Stars später gerne ironisch bezeichnet werden, sondern tatsächlich weltberühmt, wird dieser Triumph zur Last.
Er zweifelt, vor allem an sich selbst.
Wer heute Aufnahmen seiner Auftritte in TV-Shows in den frühen 1990er-Jahren sieht, ist unweigerlich peinlich berührt. Der „leiwande Bursch“, wie ein früherer Chefredakteur den klinkenputzenden Falco genannt hat, hat jeden Mut zur Ironie verloren. Als ihn ein Moderator fragt, wie denn aus dem Hans Hölzel der Falco geworden ist, antwortet er, wie immer Zigarette rauchend, mit Leichenbittermiene: „Mit viel Arbeit, mit viel Mühe, mit viel Elan, mit viel Begeisterung, mit viel Vertrauen in sein Publikum.“ Frauen behandelt er vor laufender Kamera dermaßen abscheulich, dass sich selbst die aktuellen Gabalier’schen Ausfälle harmlos dagegen ausnehmen. Erst Mitte der 1990er-Jahre scheint er sich wieder zu fangen, veröffentlicht als T-MA die Techno-Nummer „Mutter, der Mann mit dem Koks ist da“. Er brilliert als witziger Gesprächspartner bei Harald Schmidt, lässt sich 1996 von Heike Makatsch, damals noch Viva-Moderatorin, in Wien besuchen: „Ich weiß nicht, ob ich dich Falco nennen soll oder Johann …“, sagt sie.
Falco fällt ihr ins Wort: „… oder Juan oder Jean oder Johnny.“ – Nachsatz: „An sich“, sagt er, „wollen wir beim Namen genannt werden, und der ist Hans. Falco hat sich halt so etabliert, ab 1979, als eine Kunstfigur.“
1997 feiert er seinen 40. Geburtstag, knapp ein Jahr später, am 6. Februar 1998, stirbt er bei einem Unfall in der Dominikanischen Republik, zwischen den Städten Villa Montellano und Puerto Plata. Ein Bus hat seinen Gelände-wagen gerammt, Falco ist sofort tot. Posthum wird sein Lied „Out of the Dark“ zum Hit, mit der viele Spekulationen auslösenden Zeile: „Muss ich denn sterben, um zu leben?“
Eine Frage, die heute einfach zu beantworten ist: mit einem Ja.
17 Jahre nach seinem Tod ist Falco weit populärer, als er es in seinen letzten Lebensjahren war, die er vor allem in der Dominikanischen Republik verbrachte. Er (bzw. seine seltsame Verkörperung) ist aktuell trivialer Held in einem von Stefan Ruzowitzky gedrehten Werbesport für win2day.at, und am 20. April startet im Wiener Museumsquartier die Show „Falco meets Mercury“, in der Axel Herrig Falco verkörpert (und Sascha Lien den großen Freddy).
Entdeckt haben ihn auch die, nennen wir’s ruhig so, Wissenschaft und Hochkultur. Günther Zimmermann schreibt im Buch „Falco’s Many Languages“ über die Texte des Hans Hölzel (in Kleinschreibung wie im Original): „… ließen sich die sprachteile und -fetzen auch als quasi verdoppelte kulturelle codes lesen, die dem rezipienten bei falco sowohl die lokale als auch die globale dimension eröffnen.“

Das mag zwar mit einer Attitüde formuliert sein, die der Falco’schen Arroganz um nichts nachsteht, heißt im Grund genommen aber nichts anderes, als dass uns unser geliebter Überflieger, der uns in den frühen 1980er-Jahren sprachlos in der Küche sitzen ließ, von Wien aus den Blick für die Welt geöffnet hat. Ähnlich urteilte auch Martin A. Hainz, ebenfalls Germanist, im selben Buch: „falco ist im imperialen wien zu hause, das in seinen texten diesen glanz noch hat – nicht aber in der enge der welt, die eine ganze wäre, ein global village, eine global nation vielleicht sogar, von der aber immer noch gälte (und hier folgt ein Zitat des Publizisten Jan Philipp Reemtsma): ,in bezug auf kunst und literatur ist nation immer provinz.‘“
Bedeutet das, dass Ernst Molden und Der Nino aus Wien, die ihr neues, wunderbares Album mit Coverversionen von Austropop-Klassikern, darunter auch die Falco-Stücke „Ganz Wien“ und „Nachtflug“ bestückt haben, Gefahr laufen, provinziell zu sein, wie es uns manche Kommentatoren, eifersüchtig um ihre Deutungshoheit ringend, angesichts der „fulminanten Rückkehr des Austropop“ ( 399) offenbar gerne glauben lassen wollen?

Blicken wir also mit Falco, der uns globale Betrachtungsweisen erschlossen hat, ins Ausland. Dort werden österreichische Bands wie Wanda und Bilderbuch von Fans wie Kritikern gleichermaßen bejubelt. Und zwar derart: „Das Ungesunde steigert sich übermütig in eine wienerische Morbidität“, schreibt die Frankfurter Allgemeine über Wanda. „Da säuft man dann auf einmal keinen Schnaps mehr, sondern gleich einen Pistolenlauf. So umarmt Wanda nicht nur Leid und Liebeskummer, sondern auch eine falcoeske Zuneigung zum Tod. … Kurioserweise bricht sich der Austropop dann gerade bei dem Lied ,Kairo Downtown‘ Bahn, und man könnte meinen, Falco sei wieder unter den Lebenden.“ Dass Wanda-Sänger Marco Michael Wanda zu den Falco-Verehrern zählt, wissen wir nicht nur seit seinem hingebungsvollen Statement „Falco schläft mit uns“, sondern auch wegen der schönen Anmerkung, dass selbiger eine „wichtige spirituelle Figur für jeden Wiener Musiker“ sei.
Auch Bilderbuch sind keineswegs frei von Einflüssen der Vergangenheit (so eigenständig ihre Soundwelten auch anmuten). Manche Kommentatoren meinen sogar, ohne Falco würde es Bilderbuch so nicht geben. Der Tagesspiegel schreibt über ihr Album „Schick Schock“: „Es ist eine sehr gute Platte geworden. Sie klingt ein wenig so, als wäre Kanye West bei der österreichischen Pop-Legende Erste Allgemeine Verunsicherung eingestiegen oder als hätte Falco einen Gastauftritt bei Daft Punk. Manchmal, wenn Maurice Ernst, der Blonde aus dem Lamborghini, vom Meer und vom Strand singt, denkt man an die Austropop-Sehnsuchtslieder aus der Kindheit, die immer im Radio liefen, während sich halb Westdeutschland über die Brenner-Autobahn hinunter Richtung Adria schob.“
Was die deutschen Kommentatoren erstaunt, ist die Tatsache, „dass das wieder funktioniert“. Und sie meinen damit, „dass jene Musik, die vermutlich auch in Österreich drei Dekaden lang als muffig wahrgenommen wurde, wieder als Referenzgröße anerkannt wird.“

Warum ist das so, warum ist der in Verruf geratene Austropop „nicht mehr das Schlimmste vom Schlimmen“, wie Austrozone-Macher Eberhard Forcher im des Vormonats feststellte? Folgen wir einem Rat Michael Hopps, der vor mehr als 30 Jahren über Falcos „Junge Roemer“-Album im Folgendes geschrieben hat: „Wir befinden uns … in einer Region des Erfolges, in der man seine Aufmerksamkeit einmal kurz abwenden sollte von der ohnhin permanent angesagten Wiener Gesellschaftskomödie und kurz hinwenden auf das Produkt selbst.“
Betrachten wir also die Produkte, erkennen wir die Gründe des Erfolgs: Es dreht sich alles um „Sound and Vision“, wie der von Falco verehrte David Bowie auf seinem 1977er-Album „Low“ sang. Die Damen und Herren Musiker beherrschen ihre Instrumente (und wer Falco je hat Bass spielen und seine Finger verknoten sehen, um seine exzellenten Fertigkeiten unter Beweis zu stellen, weiß, dass auch er das tat). Sie wissen um die Bedeutung perfekter Produktion und fein definierter musikalischer Lebenswelten (das gilt für 5/8erl in Ehr’n ebenso wie für Parov Stelar, von dem übrigens ein großes Album erschienen ist, – und das galt natürlich für Falco). Sie ignorieren die „kleine Welt“ Österreichs und ihre mannigfaltige bornierte Beengtheit und überschreiten – trotz eines schwerverständlichen Idioms – frohen Herzens die Grenzen (dass die Sprache keine Barriere, sondern höchstens eine Ausrede ist, wusste schon Falco und er war u. a. top in Guatemala).
Wir haben unser Ego längst neu geordnet.
Wie Falco. Es reicht, wenn Sie jetzt nicken.