Zu Gast im Städtchen Glashütte. Hier, im Zentrum deutscher Uhrmacherkunst, wird der Zeit mit dem Bau grandioser Uhren gehuldigt
Wer an Uhren arbeitet, an mechanischen Uhren, wohlgemerkt, muss sich Zeit nehmen. Wie Thomas Büttner. Wenn der Uhrmacher daran geht, eine Schwanenhalsfeder, die zur Feinregulierung einer Uhr dient, zu polieren, weiß er, dass er dafür mindestens eine Stunde brauchen wird. Mit der Sicherheit eines geübten Handwerkers trägt er auf eine Zinnfeile Polierpaste auf. Verreibt sie dort, bis es aussieht, als hätte sie nur ein zarter Hauch gestreift. Das Metallstück, das vor ihm liegt, ähnelt tatsächlich einem Schwanenhals. Allerdings ist es nicht halb so groß wie eine ganz normale Büroklammer.
Flach legt er jetzt die Feile auf und beginnt mit der Arbeit. Die Späne, die abfallen, sind so winzig, dass sie mit freiem Auge nicht zu erkennen sind. Erst wer durch eine Lupe blickt, sieht, dass die Arbeit des Uhrmachermeisters Spuren hinterlassen hat.
„Man muss von Natur aus ein Mensch sein, der beim Arbeiten ruhig ist“, hat Thomas Büttner gesagt, bevor er mit der Politur begonnen hat. Dieses „sehr alte und sehr edle Verfahren“ braucht Übung und „eine lange Einarbeitungszeit“.
Thomas Büttner arbeitet bei Glashütte Original. Und er arbeitet in Glashütte. Das Städtchen, das mit seinen 16 Ortsteilen knapp 6.800 Einwohner zählt, liegt 40 Fahrminuten von Dresden entfernt und gilt seit dem 19. Jahrhundert als das Zentrum deutscher Uhrmacherkunst. Niedergelassen haben sich die ersten Uhrmachermeister hier vor mehr als 170 Jahren. Damals war Glashütte, zuvor über Jahrhunderte durchaus begüterte Bergbaugemeinde, in einer massiven Krise. „Not und Elend bestimmten das Dasein“, heißt es rückblickend von offizieller Seite, „diese Notstandssituation bewegte die Staatsregierung, einen Appell an Fachleute zu richten, in diesen Gebieten eine Industrie aufzubauen.“
Glashüttes Glück: Uhrmachermeister Ferdinand Adolph Lange begann am 7. Dezember 1845 mit 15 Lehrlingen, Taschenuhren zu produzieren. Von Anfang an zogen Lange und seine Kollegen, insgesamt ein engagiertes Quartett, an einem Strang. Ihr Ziel: besondere, möglichst genau gehende Uhren herzustellen. Deshalb entschieden sie sich auch gegen die Schweizer Bauweise, bei der alle Elemente einer Uhr vom Rand her fixiert werden, und entwickelten 1863 die noch heute für Uhren aus Glashütte typische Dreiviertelplatine. Deutlich komplizierter zu fertigen, gibt sie jedem Werk hohe Stabilität (die wiederum wichtig für die Ganggenauigkeit ist).
10 Schritte: Vom Rohling zum versilberten Zifferblatt
Heute ist Tradition in Glashütte ebenso wichtig wie Innovation. Dafür braucht es – Zeit. Die Konstrukteure, die an der Entwicklung neuer Uhrenwerke arbeiten, bekommen sie – sieben Jahren brauchten sie für die Grande Cosmopolite Tourbillon. Vier für das Manufakturkaliber 36 der Senator Excellence.
Dieses neue Kaliber bietet erstmalig bei Glashütte Original eine Gangdauer von bis zu 100 Stunden. Der Träger kann seine voll aufgezogene Uhr also vier Tage ruhen lassen. Durch den Saphirglasboden sind auf den ersten Blick typische Glashütter Merkmale zu erkennen: Neben der Dreiviertelplatine der skelettierte Rotor, der Streifenschliff, Perlierungen, feine Verzierungen auf Rädern und gebläute Schrauben. Diese Schrauben liegen jetzt im Rohzustand vor Thomas Büttner. Sie sind so winzig, dass sie erst auf den zweiten Blick als solche zu erkennen sind. „Schrauben werden nur wegen der Schönheit gebläut“, sagt der Uhrmacher. Dafür werden sie erhitzt. In Sekundenschnelle verfärben sie sich gelb, braun, rot, violett – und schon sind sie blau und damit fertig.
Jedem dieser Details widmen sich Hunderte von Mitarbeitern, die in dem lichtdurchfluteten, weißen Gebäude von Glashütte Original arbeiten, mit hingebungsvoller Konzentration. Worte werden dabei kaum gewechselt, jeder weiß, was zu tun ist. Hier ist die Lupe, da eine Pinzette – seit vielen, vielen Jahrzehnten unverzichtbares Handwerkszeug für jeden Uhrmacher.
Was wir nicht sehen, was wir nur erahnen, ja, vielleicht sogar nur herbeifantasieren, ist die Ruhe, die über allem liegt. „Hier lebt die Zeit“, hat sich das Städtchen zum 500-Jahr-Jubiläum zum Motto erkoren. Wir meinen ihren Atem zu spüren, ihren leisen Herzschlag. Es macht tick. Es macht tack. Tick. Tack. Tick …
In der Welt der Uhren. Zehn Uhrenfirmen sind aktuell in Glashütte beheimatet. Neben Glashütte Original auch so bekannte Namen wie A. Lange & Söhne, Nomos oder Wempe. +++ Einen interessanten Einblick in die Geschichte der Uhrmacherkunst gibt es im Museum, das dank der Stiftung „Deutsches Uhrenmuseum Glashütte – Nicolas G. Hayek“ am 22. Mai 2008 eröffnet wurde. +++ Hier befindet sich heute auch die Glashütte Uhrmacherschule. +++ Anreise nach Glashütte von Dresden am besten mit der Schnellbahn (Dauer: 1 Stunde, 9 Minuten) +++
Sie können in Glashütte übernachten, ich empfehle eine Nächtigung im Zentrum von Dresden, z. B. im QF Hotel, ums Eck befindet sich die Glashütte Boutique und das Restaurant Ontario mit perfekten Steaks.