Funkelnde Wellen, ertrinkende Stimmen – und ein Tennisball als Pirat in einer gefährlich schönen Welt. In der Ausstellung „bitoresc“ zeigen Studierende und Absolventen der Universität für angewandte Kunst Wien 37 Arbeiten.
Das Meer wogt golden, und die Wellen werfen weiche Wirbel an die Wände des kleinen Raumes im Heiligenkreuzerhof. Es ist eine Rettungsdecke, 340 mal 400 Zentimeter groß, die – von einem Ventilator in Bewegung gesetzt – hier im hintersten Winkel des ersten Stocks die „Sea“ (Titel der Arbeit von Fabian Bösch, Anm.) gibt.
Im Zusammenspiel mit mehreren anderen der insgesamt 37 Arbeiten, die Studierende und Absolventen der Universität für angewandte Kunst Wien (Abteilung Digitale Kunst, Ruth Schnell) aktuell in der Ausstellung „bitoresc“ zeigen, ist das goldene Meer deutlich mehr als ein Kunstwerk, das darauf abzielt, die Wahrnehmung des Raumes zu verändern.
Es wird zum Sehnsuchtsort, zu einem Ort der Hoffnung – und zu einem berührenden Kommentar in Zeiten, in denen Abertausende Menschen zu neuen Ufern aufbrechen (müssen).
Auch Peter Várnais „Deer Scarer“ beschäftigt sich mit der verzweifelten Lage der „boat people“, der Flüchtlinge insgesamt. Aus einem Megafon, das an einem Absperrgitter, wie es bei Demonstrationen verwendet wird, befestigt ist, dringen Stimmen. Wasser läuft in das Megafon – bis nichts mehr zu hören ist, die Stimmen ertrunken sind. Ist es übervoll, kippt es.

Das Wasser ergießt sich in den Bottich. Die Stimmen kehren zurück. Sind es neue Stimmen? Anklagende? Sind es Menschen, die aufstehen, um für die Flüchtlinge einzustehen? Oder sind es die Vertriebenen? Darf der neue Redeschwall Hoffnung machen? Sorgen? Oder Angst? Zu enden jedenfalls scheint er nie.

Fragen, wie sie die Ausstellungsbesucher in Severin Gombocz’ Installation „Bricks“ nicht nur stellen, sondern auch dokumentieren können. Mit ihren Kommentaren übertönen/überschreiben sie die ursprünglichen Aussagen, die aus den Kartonziegeln dringen. Und verändern damit Wahrnehmung und Werk.
David Osthoff lässt sich in „Mirage“ beobachten. Er sitzt in einem kleinen Boot, das auf dem Lunzer See im Kreis fährt. Dort, wo sich üblicherweise der Segelmast befindet, hat der Münchener eine programmierte LED-Stange montiert.
Mit einer Kombination aus Langzeitbelichtung und Video gelingt es ihm, über der Wasserfläche schwebende und sich darin spiegelnde Rechtecke zu erzeugen. Das Element Wasser bekommt so eine ebenso faszinierende wie erschreckende Künstlichkeit, eine Künstlichkeit, angesichts deren Schönheit wir geneigt sind, gedankenlos ins Licht zu taumeln.
Die Leiterin der Abteilung Digitale Kunst, Ruth Schnell, verweist deshalb auf den ganz bewusst gewählten Ausstellungstitel „bitoresc“. Mit „bit-or-esc“ lässt er sich vielschichtig lesen – u. a. als bedingungslose Zustimmung zur digitalen Welt, aber auch als notwendige Flucht aus ihr.
Einen auf den ersten Blick amüsanten Kommentar zu den Werken seiner Studienkolleginnen, auf den zweiten aber einen geradezu perfekten, hinterlässt Robert Oberzaucher.
Monatelang schlich er sich in den Morgenstunden ohne deren Wissen in den Workspace der Abteilung. Warf dort wieder und wieder Tennisbälle gegen die Wände. So, wie wir es tun, wenn uns nach Zerstreuung ist. Mit dieser Aktion dokumentierte er nicht nur den Ist-Stand der Arbeiten (das goldene Meer lehnt geknüllt an der Wand), er kaperte auch die Werke seiner Kollegen.
Der Ball wird zum Piraten, zum sprachlosen Moderator. Und gleichzeitig zum Führer durch eine Werkschau, die dem Betrachter klar macht: Meist landet der Ball wieder beim Werfer. Was heißt: Wir tragen die Verantwortung. Wir entscheiden, was wir sehen. Und wie. Im Zweifelsfall bleibt immer noch die Esc-Taste.
bitoresc, Ausstellung im Heiligenkreuzerhof, Schönlaterngasse 5, Wien, bis 1. Februar, 14 bis 18 Uhr, freier Eintritt
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